19.10.2013

Philosophie und Sarkasmus

Gar nicht so einfach, heute einen Anfang zu finden. Der zweite Konferenztag bot nämlich nicht nur wieder eine Reihe interessanter Vorträge, sondern auch zwei, die jeder für sich aus dem Rahmen fielen.

Gleich zu Anfang überraschte Vance T. Holliday das Auditorium mit einem neuen Datum für den Beginn der Clovis-Zeit. Clovis - für die, die sich in der amerikanischen Früh- und Vorgeschichte nicht so auskennen - ist die erste als solche erkennbare eigenständige amerikanische Kultur. Jüngste C14-datierte Befunde aus El Fin de Mundo im Nordwesten Mexikos (ja, auch dort gibt es eine Endje van't Welt) sind 13300 Kalenderjahre alt, somit rund 180 Jahre älter als die bisher älteste Clovis-Stätte (ich will jetzt nicht nachsehen, welche das ist). Die Daten sind noch nicht publiziert, verriet mir in der Pause eine der Ausgräberinnen, Guadalupe Sanchez; das Publikum erfuhr also wirklich etwas Neues.
Mike Waters (links), einer der Konferenz-Organisatoren und  Pre-Clovis-Experten, diskutiert mit einem Teilnehmer über die Wally's Beach Site in Canada.
In den Vortrag von Vance T. Holliday ging es eigentlich um etwas anderes, um die Landschaft zur Clovis-Zeit. Dazu nur eine Kernaussage: Der Meeresspiegelanstieg nach dem Ende der Eiszeit durch die abtauenden Gletscher war so stark, dass er von den Menschen gut beobachtet werden konnte.

Es folgte dann so etwas wie eine Philosophie-Vorlesung. Bruce Bradley, zusammen mit Dennis Stanford der Verfechter der Solutreen-Hypothese (siehe Post von gestern), erläuterte das Prinzip der cultural revitalization nach Wallace (Wallace, Anthony. 1956. "Revitalization Movements," American Anthropologist 58: 264-281) und ihre mögliche Anwendung auf Clovis. Eine der Kernaussagen dieser Wiederbelebungstheorie lautet, dass es in einer erstarrten Kultur durch einen Propheten/charismatischen Führer zu einer Erneuerung kommt. Bestimmte Merkmale der Clovis-Kultur sieht Bradley als Elemente der Wiederbelebung einer Pre-Cloviskultur, die in der Nachfolge der in Amerika gelandeten Solutreen-Leute steht. Zu diesen Merkmalen gehören unter anderem die Verbreitung von Clovis in ganz Nordamerika, den hohen Anteil hochwertiger Steinwerkzeuge und eine ritualisierte Megafauna-Jagd.

Zu den umstrittensten Theorien im Umfeld der Clovis-Diskussion gehört die vom Younger Dryas Impact, die besagt, dass der Einschlag eines kosmischen Körpers (Meteorit/Komet) vor 12900 Jahren Auslöser für die Jüngere Dryas-Abkühlung war. Die plötzliche Abkühlung innerhalb eines extrem kurzen Zeitraums von wenigen Jahren sorgte unter anderem für das Ende der Clovis-Kultur und das große Finale beim Aussterben der Megafauna auf dem amerikanischen Kontinent.

James P. Kennett und Kollegen glauben den Nachweis für diesen Einschlag in einer sehr dünnen Sedimentschicht mit einem außergewöhnlchen hohen Anteil an Nanodiamenten und "impact spherules" (Einschlagkügelchen) gefunden zu haben, die sich in einem großen Gebiet zwischen der amerikanischen Pazifikküste und dem Mittleren Osten nachweisen lässt. Diese Schicht markiert in allen amerikanischen spätpleistozänen Grabungsstätten das Ende der Clovis-Zeit. Eine Bestätigung dieser Theorie sehen Kennett und Co. durch in diesem Jahr veröffentlichte Ergebnisse einer Untersuchung eines Grönland-Eiskerns, die genau für die vermutete Einschlagzeit zu Beginn des Younger Dryas eine plötzliche Veränderung aller relevanen klimatischen Daten  aufweisen. Der "major impact" soll kein Einschlag gewesen sein, der einen Krater hinterlassen hätte, sondern ein "airburst", ein in der Luft explodierter Meteor in der Art wie de im Februar dieses Jahres über Tscheljabinks in Russland.

Zwei Vorträge fasse ich mal zusammen, damit dieser Post übersichtich bleibt. Douglas W. Owsley gab eine Übersicht der ältesten Skelettfunde in den westlichen Vereinigten Staaten, während es bei Mark Hubbe um Skelettfunde bzw. Schädelformen in der Lagoa Santa in Brasilien ging. Die vielen Details lasse ich mal weg und bleibe bei einem Aspekt. Sowohl in Nordamerika (Stichwort: Kennwick-Mann) also auch in Brasilien haben die Schädelformen eine Reihe von charakteristischen Merkmalen, die den Schädeln der dort lebenden modernern Indianern/Indios fehlen. Stattdessen ähneln sie eher Polynesiern. Diese frühen Amerikaner können eigentlich nicht die Vorfahren der modernen eingeborenen Amerikaner sein,  denn deren Schädelformen ähneln eher denen von Ostasiaten.

Zum Abschluss kommen wir zum Auftritt von Thomas Dillehay, dem Ausgräber von Monte Verde und einem der am meisten angefeindeten Archäologen Amerikas (zumindest nach seinem Verständnis). Dillehay hat in  Monte Verde, einer Ausgrabungsstätte in Chile, in den 1980er Jahren nachgewiesen, dass dort Menschen mindestens gleichzeitig mit Clovis lebten und die ganze Pre-Clovis-Debatte, die seit 20 Jahren die amerikanische Archäologie beschäftigt, ausgelöst.
Dillehays Vortrag galt zunächst seiner aktuellen Arbeit im Norden Perus, die sich in einem Zeithorizont bewegt, der einige Hundert Jahre nach dem Ende von Clovis beginnt. Der interessanteste Aspekt dabei sind die Anzeichen, dass bereits damals die Alpakadomestikation begonnen haben könnte.

Bei der Vorstellung einiger Steinwerkzeuge setzte es dann die ersten Hiebe gegen Kollegen, die in Nordamerika arbeiten und grundsätzliche Zweifel an bestimmten Ergebnissen äußerten, weil sie von den in Nordamerika gewonenen grundsätzlichen Erkenntnissen abweichen. Auch wenn das sicher ein geplanter Show-Auftritt war, konnte man doch deutlich Dillehays Ärger darüber spüren, wie geringschätzig die Arbeit der in Südamerika tätigen, erfahrenen Archäologen teilweise bewertet wird. Er weise seine Kollegen seit mehr als 30 Jahre - vergeblich - darauf hin, dass in Südamerika andere Verhältnisse herrschen als in Nordamerika.

Der Höhepunkt der Tirade - eine sarkastische Replik auf die Bewertung der Datierung von möglicherweise 22000 Jahre alten Feuersteingeräten aus Toca da Tira Pela  in Brasilien durch Stuart Fiedel. Fiedel gilt als der schärfste Pre-Clovis-Kritiker überhaubt und er hält das Ganze - vereinfacht gesprochen - für Humbug. Jener Fiedel wird in der Zeitschrift Science News vom 20. April 2013 mit den Worten zitiert, dass es auch sein könnte "that capuchins or other monkeys produced the tools".  Deshalb stellte Dillehay zum Abschluss seiner Präsentation seinen Co-Autoren im Bild vor: ein Kapuzineräffchen.

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